Vita > Biografie - Chronologie - Stammbaum - Claire Schlichting
Claire Schlichting (geb. 1905 in Wuppertal, gest. 1978 in Berlin) - Komikerin und Mutter von Jonny Buchardt.
Artikel zum Tod von Claire Schlichting in: DON - The German Gay Magazine, 1978
Über Arndt von Bohlen-Halbachs Hochzeit sagte sie: «Seine Frau kann Kohlen sparen. Die schickt ihres Mann einmal durch die Räume und schon ist eingeheizt.» Sich selbst bezeichnete sie als «Deutschlands einziger weiblicher Komiker». Und ihre Auftritte beendete sie mit dem Bekenntnis: «Ein Mensch, der andere Menschen gar zu gerne Lachen macht, das ist die Claire, wie sie weint und wie sie lacht.»
Ein herzlich-liebevolles Lachen hatte die komische Claire für Homos immer übrig. Und wenn sie Witze über unsereins vom Stapel ließ, dann wusste man, daß sich dahinter ein sehr menschliches Verständnis verbarg - waren sie auch noch so anzüglich. Ober dieses Verständnis schrieb uns ein DON-Leser und Freund der Claire: «Sie hatte früher mal selbst eine Bar in Düsseldorf [(in der Rheinstrasse), die „Wichsdos“ (übersetzt etwa Schuhcreme- oder Bohnerwachs-Dose)], als sie glaubte, sich von der Bühne zurückziehen zu müssen. Dort waren viele von uns zu Gast, von denen sie sehr angetan war. Es verkehrten dort auch viele Künstler, und mit allen kam sie gut aus, eben auch deshalb, weil ihr, und das betone sie immer wieder, nie einer zu nahe trat. Ob das der Grund gewesen sein könnte? Sie hat auch im Freundeskreis immer wieder gesagt, daß sie sich niemals vorstellen könne, lesbisch zu sein, im Gegenteil, sie hielt sehr viel von Männern. Zum Beispiel wenn sie zum Ende einer Veranstaltung sagt «Claire, sag mal, hast du zum Abschied nicht einen Wunsch? Ich hab sogar zwei Wünsche heut ... und den dreimal hintereinander …»
Claire Schlichting kam am 18. Mai 1907 Wuppertal-Elberfeld zur Welt, als einziges ziemlich verwöhntes Kind eines Kaufmanns und einer Lehrertochter, die ein Faible für das Theater hatte. Sie erzähle selbst: «Bei mir kann man nicht von Mutterwitz sprechen, da auch der Vater viel Sinn für Humor hatte. Beweis: Beide wollten einen Jungen, und ich kam an - und beide übernahmen mich lachend. Meine Eltern waren normal - das heißt, sie hatten nichts mit dem Künstlerberuf zu tun, aber sie waren lebensfroh, so daß viele ihrer Gäste Künstler waren ... Irgendwie behauptete man, nachdem ich als Fünfjährige etwas vorgeführt hatte, ich sei begabt. Auf welchem Gebiet, hat keiner gesagt. Jedenfalls sah meine Mutter das als Anlass, mich in die beste Ballettschule in Barmen zum strengsten Lehrer zu schicken. Er peitschte mir den Tanz regelrecht ein. Mit fünfzehn beschloss ich, Tänzerin zu werden. Man engagierte mich für eine Operette, weil ich sehr hübsch gewachsen war … , ein lustiger Stoßseufzer, … das glaubt mir heute keiner mehr.»
Mit siebzehn war Claire Soubrette, heiratete den Schauspieler Herbert Schlichting und war mit achtzehn schon Mutter eines Sohnes, den sie Jonny nannten. Es ist der heute bekannte Humorist Jonny Buchardt, ein As des Kölner Karnevals. Mutter und Sohn nahmen sich gerne gegenseitig auf die Schippe - von wegen der geklauten Witze. 1929 - einer schlechten Zeit für die Operette - spielte Claire das Dienstmädchen in “Der müde Theodor". Dieser Rolle und vor allem dem darin kreierten Kostüm, der flickenbesetzten Schürze, blieb sie ihr Leben lang treu.
«Die Schürze kaufte ich mir damals für zwei Mark von einer Putzfrau. Die Flicken darauf sind alle echt, der Zahn der Zeit. Die Spitzenbluse bekam ich von einer ganz alten Frau. Davon sind allerdings nur noch die Spitzen echt. Meine alten Schuhe wurden vor einigen Jahren gestohlen. Ich war nicht traurig, denn sie hatten mich so lange begleitet. Doch zurück zu dem Stück. Da ich von Haus aus Iustig war, machte ich aus meiner Rolle unbewusst eine Kabarettnummer. Mit Riesenerfolg. Die Operette machte später Pleite, aber ich besaß einen großen Schatz, ein eigenes Kostüm.»
Damit begann der große Erfolg einer komischen Type. Mit Dutt, Schrubber und Schürze begann die Karriere als Alleinunterhalterin. Die kleine Claire wurde mit 26 Jahren zur “komischen Alten”. Man schrieb das krisengezeichnete Jahr 1930.
Claire reiste mit Revuen, trat mit Artisten in Kabaretts, Varietes und im Kinovorprogramm auf. Mit unverblümter Deftigkeit wenden sich die Bretter, die die Welt bedeuten, nach und nach wurde mir klar, daß es keine Frau geschafft hatte. Nur der Erfolg dieser Person war mir zunächst unverständlich, bis ich dahinter kam, daß es keine Frau gab, die als Komiker auftrat. Cläre Waldorf und Fass, das waren Humoristinnen, ich seh mich als eine Mischung aus Clown und Kabarettistin. Im Berliner Wintergarten war sie über sechzig mal engagiert, im Hamburger Hansa Theater vierzigmal. Sie, die auch von Geburt her eine “Wucht” war, entfesselte überall ihrer Type, der Reinemachefrau mit Herz und Schnauze, beim Publikum Lachanfälle. Im Frankfurter Schumann-Theater, im Münchner Deutschen Theater und im Anna, im Leipziger Wintergarten und im Regina in Dresden. Mit fast allen Großen aus dem Showgeschäft stand Claire auf der Bühne. Ihr Leben war wie der Spiegel einer vergangen Epoche Kabaretts und des Varietés.
Natürlich war sie ein wenig traurig, daß diese Stätten, ihre Urheimat und Schauplatz ihrer ersten turbulenten Triumphe, nach und nach alle geschlossen wurden. Weil Claire in zweiter Ehe einen Dänen heiratete, lebte sie bis 1952 in Kopenhagen. Doch dann bekam sie Heimweh und auch gleich wieder Engagement an das Hamburger Hansa-Theater. Sie war viel auf Achse, hier ein Gastspiel, dort ein Abend und viele Betriebsfeiern. Dann der Versuch des Rückzugs. Zunächst in ihre Düsseldorfer "Wichsdos" und später in Berlin, wo sie als unterhaltsame Gastronomin eine Prominenten Pension führte. Damals war sie oft in der Trocadero am Winterfeldplatz zu Besuch, wo sie ihre Jungens - die Homosexuellen - zu Gaudi unterhielt. Zum Konkurs ihrer Noblen Herberge sagte sie: «Schade, doch ich gebe nicht viel um indische Güter»
Sie ging zurück auf die Bühne. Im Karneval hatte Claire Hochsaison. Drei Auftritte an einem Tag in drei verschiedenen Städten waren nichts ungewöhnliches. «Nur das mich niemand entdeckt», scherzte sie über ihr Comback. Sie lebte im 21. Stock eines Kölner Hochhauses und machte auf Riesen-Tourneen Amerika und Süd-Amerika unsicher.
Professor Bernard, der sie förderte, und der von ihr begeistert war, wollte noch ihr Herz verpflanzen. Sie schlug ab: «Mein Herz ist zu groß.»
Was war es nur, was Claire so beliebt und erfolgreich machte? Sicherlich nicht Ringelsocken, Klobürste, Dutt und Nickelbrille. Sie war Ihr Witz, ihre Anekdoten, Geschichten und Kalauer waren zeitlos. Sie hat sich einen “Dreck" darum gekümmert, was der Zeitgeist gerade verlangte. Ihre Anmerkungen über die Seele und nicht zuletzt über Welten des Menschen spotteten aller Aktualität. Sie flaumte ihr Publikum an, provozierte, um sich selbst auszunehmen, ihre Leibesfülle, “Der Kapellmeister ist hinter mir her” und nämlich “Antiquitätenhändler”». Sie hatte festes Repertoire, sie improvisierte. Frechheiten mit Herz! So hieß auch eine ihrer Schallplatten. Sie hatte eine ganze Reihe Schallplatten gemacht.
Ein DON-Leser erinnert side: Claire lernte ich vor sechs Jahren auf Norderney kennen, als sie dort in einer Tanzbar ein Gastspiel gab. Mit von der Partie war die Kammersängerin Rita Streich. Es war eine köstliche Fete! Seit dieser Zeit schrieben wir uns regelmäßig. Ihre Tochter Monika gastierte hier am Theater in Bremen. Claire kam oft nach Bremen, und wir haben im ehemaligen Astoria (jetzt Bremer Brauhaus) herrliche Stunden verlebt. Nach dem Kriege hatte sie das wieder aufgebaute Astoria mit eingeweiht. Claire hatte immer großen Appetit auf chinesische Küche und war auch in einigen unserer Lokalitäten. Am liebsten ging sie mit zu Hans (Bar bei Hans), wo sie oft auftrat; immer mit Riesenerfolg. Einmal feierte Hans gerade seinen Geburtstag und als Geschenk hielt sie ihm einen halbstündigen Vortrag, auf dem Sofa sitzend. Die Gäste hielten sich den Bauch vor Lachen, und Claire meinte zum Schluß: «Das war mein Geburtstagsgeschenk für dich.» Heute hast du mein Gequassel umsonst, und sonst zahlste mir 'nen Haufen Geld dafür. Ich babe sie oft in Köln besucht. Ihr Flur war auf der einen Seite nur mit Künstlerkarten beklebt, jede mit persönlicher Widmung. Dort verwahrte sie auch ihre Goldenen Schallplatten. Sie mochte es, wenn man sich am Kühlschrank selber bediente, keine Nelken mitbrachte, dafür aber Geschirr mit Zwiebelmuster.
Am 22. April dieses Jahres, an einem Wochenende, starb “Deutschlands berühmteste Putzfrau” im Alter von 73 Jahren in einem Berliner Krankenhaus. Seit Jahren war sie schwer krank: Arthrose (Gelenkabnutzung). Sie bekam ein künstliches Hüftgelenk, dann ein Kniegelenk und trat - wackelig auf den Beinen - dennoch wieder auf. Am 22. April blieb ihr Herz stehen. Wir haben einen guten Freund verloren. Vielleicht hat uns Claire auch deshalb etwas besser verstanden, weil sie - und das wollen wir hier auch vermerken - von 1942 bis 1945 in einem Konzentrationslager saß; aus politischen Gründen.